Die Corona-Pandemie erweist sich offenbar als Katalysator für das Veggie-Segment. Nach Analysen der Nielsen-Marktforscher wuchsen die Umsätze mit vegetarischen Produkten im deutschen Lebensmittelhandel während der Corona-Pandemie (KW 10 bis 22) um 39 Prozent, die mit veganen Produkten sogar um 59 Prozent, während das Nicht-Veggie-Angebot ein Plus von „nur“ 15 Prozent verzeichnete. Dabei gewinnen die Herstellermarken weiter an Bedeutung. Sie kommen auf einen Marktanteil von rund 58 Prozent.
„Die aktuelle Situation schärft noch mal die Neugier der Verbraucher nach einem gesunden, grünen Lebensstil“, meint Anne Räwel, Senior Brandmanagerin Green Cuisine bei Iglo. Neben dem Anspruch, die Vorräte mit gesunden und einfachen Produkten zu füllen, sei schnell das Bedürfnis nach Abwechslung gekommen.
Der Wunsch nach neuen Geschmäckern bestätigt die internationale Ernährungsorganisation ProVeg als wichtigen Kaufgrund. Im Rahmen einer aktuellen Studie, die in Deutschland und weiteren acht Ländern durchgeführt wurde, gaben Verbraucher an, vor allem aus Neugierde, Gesundheit und wegen des Geschmacks nach pflanzlichen Produktalternativen zu greifen. „Aus weiteren Studien wissen wir, dass auch die Themen Klima und Tierwohl immer wichtiger werden, zumal der Zusammenhang zwischen Ernährung und der Emission von Treibhausgasen immer deutlicher sowie der Einblick in die Massentierhaltung immer größer wird“, sagt Verena Wiederkehr, Leiterin des Fachbereichs Lebensmittelindustrie und Handel bei ProVeg. Aspekte, die auch in Corona-Zeiten an Bedeutung gewinnen.
Bei Wiesenhof entwickeln sich die Absatzzahlen im vegetarisch-veganen Segment sehr gut. Der Lebensmittel-Einzelhandel profitiere davon, dass mehr zu Hause gegessen werde, sagt Dr. Ingo Stryck, Geschäftsführer Marketing bei Wiesenhof. „Die Verschiebung vom „Außer-Haus-Verzehr“ in die eigenen vier Wände werde wohl auch noch eine Zeit lang anhalten und die Nachfrage nach convenienten Lebensmitteln im LEH hoch halten. „Davon profitiert auch das Segment für vegetarische/vegane Lebensmittel.“ Unabhängig ob Marke oder Handelsmarke: Wachstum verzeichnen laut Stryck vor allem Produkte, die wie das gelernte Fleisch-Original verwendet werden können, wie veganes Hack, Geschnetzeltes, Streifen et cetera.
Die Berliner Veganz AG hat im ersten Halbjahr 2020 knapp 40 Prozent Wachstum verzeichnet. Der Umsatz mit der gleichnamigen Marke, aber auch das Filialgeschäft legten zu. „Wir liegen nicht nur deutlich über Vorjahr, sondern auch deutlich über unserem ambitionierten Plan“, freut sich Jan Bredack, Gründer und CEO von Veganz. Wachstumschancen sieht Bredack für seine Marke insbesondere im Kühlsegment (zum Beispiel Wurst- und Käseersatz) sowie im Bereich der Fertiggerichte. In den kommenden zwei Jahren werde sich im Bereich der Fischalternativen sehr viel bewegen, ist er sich sicher. Gut angenommen wird der neue Räucherlachs-Ersatz auf Basis von Algenextrakt. Vegane Alternativen zu Thunfisch, Scampis und Backfisch sollen hinzukommen, kündigt Bredack an.
Was der Verbraucher will
Seine Einschätzung hinsichtlich zukünftiger Wachstumstreiber werden durch die Studie des ProVeg bestätigt. Mehr als 6.000 Verbraucher hat die Organisation hierfür nach ihren Ernährungs-Vorlieben befragt, insbesondere dazu, in welchen Sortimentsbereichen noch Bedarf an Veggie-Produkten besteht. Auf Platz Eins der Produkte, die sich sowohl Vegetarier und Veganer als auch Flexitarier wünschen, steht demnach aktuell pflanzliche Käse-Alternativen. Rein pflanzliche Fertiggerichte belegen den zweiten Platz der Wunschliste der Flexitarier. Bei den befragten Vegetariern und Veganern liegen sie auf Platz Drei. Während Flexitarier der Studie zufolge nach mehr pflanzlichen Fleisch- und Wurstprodukten fragen, die wie das tierische Original schmecken, sehnen sich Vegetarier und Veganer vor allem nach einem größeren Angebot an veganen Backwaren und Schokolade.
„Sowohl veganer Käse wie auch Fertiggerichte auf rein pflanzlicher Basis bieten enorme Wachstumschancen“, so Wiederkehr. In diesen Kategorien sollte der Handel sein Sortiment auszubauen. Großes Potenzial bergen die Kategorien für pflanzlichen Fisch, Meeresfrüchte und Ei-Alternativen, ergibt die Studie.
Marken wie BioVegan bieten bereits pflanzlichen Ei-Ersatz in Pulverform auf Basis von Süßlupinenmehl an. Ein gehäufter Esslöffel, angerührt mit 50 Milliliter Sprudelwasser, ersetzt ein Vollei. Geeignet ist das Produkt für die Verwendung in süßen Gebäcken, Waffeln, Kartoffel- oder Gemüsepuffern. Dass die ermittelte Konsumrate von Ei-Ersatz derzeit noch bei nur elf Prozent liegt, hat nach Ansicht von ProVeg-Managerin Wiederkehr mit der großen Lücke zwischen Angebot und Nachfrage zu tun. „Es gibt sehr wenige Alternativen zu klassischen Eierspeisen wie Spiegel- und Rührei im Markt. Wenn man sich zudem noch näher anschaut, wie vielseitig Eier grundsätzlich eingesetzt werden, welche Funktionen sie bei verarbeiteten Lebensmitteln übernehmen und wie häufig sie konsumiert werden, dann wird deutlich, dass der Markt für Ei-Alternativen eine riesige Chance darstellt“, sagt Verena Wiederkehr.
Mehr Fisch-Alternativen
Großes Entwicklungspotenzial bescheinigt die Branche dem Segment der Ersatzprodukte für Fisch- und Meeresfrüchte. Bisher haben nach eigenen Angaben nur 16 Prozent der Flexitarier pflanzliche Fischalternativen gekauft und probiert. „Der Markt für Fischalternativen befindet sich derzeit noch in den Kinderschuhen. Bisher agieren hier wenige Hersteller, der Wettbewerb ist gering. Die Bedeutung dieses Marktes ist jedoch angesichts leergefischter Meere und dem steigenden Bedarf durch eine stark wachsende Weltbevölkerung enorm“, ist sich Wiederkehr sicher.
Kein Wunder, dass neben Veganz auch Wiesenhof ankündigt, in die Kategorie einzusteigen. Iglo lässt sich noch nicht in die Karten schauen. Der TK-Spezialist wird das Veggie-Sortiment unter der Linie Green Cuisine bald um weitere Produkte erweitern, ob unter den Neuheiten auch Fisch-Alternativen sein werden, lässt Räwel offen: „Lassen Sie sich einfach überraschen.“
Ein bereits etablierter Anbieter von Fisch-Alternativen ist das Unternehmen SoFine Foods. Unter der Linie SoFisch bietet der Hersteller Alternativen zu Fisch-Burgern und Lachsfilet an. Philip op den Kamp, Senior Product Manager SoFine Foods: „Die Nachfrage nach Fisch-Alternativen ist noch nicht so groß wie bei Fleischersatz, aber auch sie wächst stetig.“ Das Unternehmen verwendet hauptsächlich Soja aus Europa und ausschließlich aus biologischem Anbau, ohne Gentechnik. Mittlerweile werden auch andere Hülsenfrüchte wie Erbsenprotein eingesetzt.
Tierfreien Seafood-Geschmack bietet auch die Marke Nordic Oceanfruit. Für die Alternativen zu Fischsalaten und Co. werden zwei verschiedene Arten von Meeresalgen verwendet. Die Meeresalge Alaria wird in Norwegen angebaut und geerntet, die Sorte Himanthalia wird in Irland geerntet. „Wir beziehen unsere Algen nicht nur aufgrund ihrer Regionalität aus Europa, auch die Wasserqualität im Nordatlantik schlägt die anderer Regionen zum Beispiel Asien um Längen“, sagt Deniz Ficicioglu, Mitgründerin von Nordic Oceanfruit. Das Unternehmen achtet darauf, dass die Algen in bester Wasserqualität angebaut und geerntet werden, nur so könne man Belastungen verhindern.
Cleane Rezepturen
Der Blick auf Zutaten und Herkunft der Rohstoffe rückt immer mehr in den Fokus, nachdem das Veggie-Angebot in den vergangenen Jahren wiederholt Schlagzeilen machte mit Testergebnissen, in denen zahlreiche Zusatzstoffe kritisiert wurden: Diese garantierten Textur, Geschmack und Stabilität der Ersatzprodukte. Kurze Zutatenlisten und Kennzeichnungen sollen das Vertrauen der Konsumenten gewinnen.
Natürliche Inhaltsstoffe, ein guter Geschmack und eine positive Umweltbilanz sind Kriterien, die heute Produkte der Veggie-Kategorie erfüllen müssten, weiß man bei Nestlé. „Bei der Entwicklung unserer Produkte der neuesten Generation haben wir neben dem guten Geschmack auch großen Wert auf gute Zutaten und ein gutes Nährwertprofil gelegt“, sagt Heike Miéville-Müller, verantwortlich für die Geschäftsaktivitäten von Garden Gourmet in Deutschland.
Mit der Veggie-Marke setzt Nestlé vor allem auf Inhaltsstoffe, die die Verbraucher aus ihrem eigenen Küchenschrank kennen sowie auf kurze und verständliche Zutatenlisten. Neu ist die Kennzeichnung mit dem Nutri-Score-Label. Dieses soll mehr Transparenz schaffen über die Zusammensetzung der Produkte. Im Produkt-Portfolio machen die „Sensational Burger“ (ehemals „Incredible Burger, siehe Text auf Seite 59) und die „Sensational Bratwurst“ den Anfang. In den kommenden Monaten werden alle 17 Produkte mit der Nährwertkennzeichnung ausgestattet. „Der Großteil unserer Produkte trägt dabei die beste Bewertung von ,A‘“, sagt Miéville-Müller.
Ein wachsendes Produktangebot für Flexitarier und Fleisch-Verweigerer bietet auch Iglo, unter anderem unter der Linie Green Cuisine (Fleischersatzprodukte). „Bei der Produktentwicklung war es uns bereits wichtig, die kürzeste Zutatenliste aufzuweisen. Zudem sind wir aktuell nahezu einzigartig, da wir auf Hefeextrakt und Zuckerzusatz verzichten“, so Räwel.
Mit Erbsenprotein als Basis greife Iglo auf eine bekannte, heimische Hülsenfrucht zurück, die in Deutschland und Österreich angebaut wird. „Einzelne Bestandteile wie beispielsweise der aus Pflanzen gewonnene Stoff Methylcellulose unterstützen die Bindung und geben unseren Produkten Form und Textur“, erklärt die Brandmanagerin den Einsatz von nötigen Zusatzstoffen. So könne man das „Green Cuisine Hack“ einfach auftauen und zum nach Wunsch formen, beispielsweise zu Frikadellen. Auch Iglo greift bei der Range auf die Kennzeichnung zum den Nutri-Score. „Ein Signal, dass wir als Hersteller eine Verantwortung für die Produkte haben und eine Hilfe für den Verbraucher, seine Kaufentscheidungen eigenverantwortlich zu treffen.“
Auf die Nährwertkennzeichnung verzichtet die Berliner Veganz-AG, aber auch die Kunden der gleichnamigen Marke erwarten cleane Rezepturen. „Wir haben noch nie den Chemiebaukasten herausgeholt, sondern haben im Vergleich zum Wettbewerb schon immer darauf geachtet, möglichst keine oder wenige Zusatzstoffe etwa zur Stabilisierung einzusetzen“, betont CEO Bredack und gibt ein Beispiel: „Unsere neue Cashew-Camembert-Alternative, die wir selbst produzieren, wird zum Beispiel aus lediglich drei Haupt-Zutaten bestehen: Cashew-Nüsse, Kokosöl und Salz – plus Kulturen.“
Alternativen zu Soja
Dominierten vor wenigen Jahren noch Soja und Weizeneiweiß die Zutatenlisten von Ersatzprodukten, kommt heute eine Vielzahl an Rohstoffen zum Einsatz. Neben Erbsen und Lupinen dienen auch Sonnenblumenkerne, Pilze sowie die unreife Jackfruit zunehmend als Basis für Fleischalternativen, Cashew, Hafer und Kokosnuss bei veganen Varianten für Milch, Joghurt und Käse.
Neue Wege geht derzeit Hersteller Tofutown (Marken: unter anderem Viana, Veggie Life, Kato). Die Verbindung mit Hanf und CBD-Öl soll Tofu-Produkte zu neuen Powerprodukten machen. CBD ist ein nicht psychoaktives Cannabinoid aus dem weiblichen Hanf und ist aktuell eine Trend-Zutat in Lebensmitteln und Kosmetika. Anfang des Jahres hat das Unternehmen unter der Marke Kato zwei Produkte vorgestellt. Kato Green Love Hanf + Tofu mit Linsen und Cranberries sowie die Variante Red Love (mit Linsen, Paprika und Chili) enthalten jeweils 35 Milligramm CBD pro 200-Gramm-Packung. Der Anbau des verwendeten Bio-Nutzhanfs wird in der Heimat des Unternehmens, der Eifel-Region, betrieben. „Bei unseren neuen Kato Hanf-Tofus nutzen wir die tolle Protein-Kombination, die Hanf und Tofu uns Menschen bietet“, informiert der Hersteller. Beide Rohstoffe hätten vollständige Protein-Profile mit allen acht essenziellen Aminosäuren. Die beiden in Hanf zusätzlich gehäuft vorkommenden Proteine ergänzten ideal die Tofu-Proteine.
July 08, 2020 at 02:00PM
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