Appetitlich sieht das madenförmige Gewürm nicht aus. Aber schmecken müssen die Insektenlarven auch nur Fischen, Hühnern oder Schweinen. “Wir wollen damit Regenwälder und Meere schützen sowie den Kohlendioxidausstoß senken”, erklärt Thomas Kühn. Der 33-jährige ist Mitgründer des Agritech-Start-ups Farminsect aus Bergkirchen bei München. Was er und zwei Mitstreiter zum umweltschützenden Geschäft erhoben haben, ist die Zucht der Schwarzen Soldatenfliege. Deren Larven sind proteinreich und sollen Fischmehl sowie Soja als Tierfutter ersetzen. Beide Proteinquellen werden nicht nur immer teurer, was Landwirte und Fischzüchter finanziell stark belastet. Auch die Umwelt leidet unter ihrer Beschaffung.
Sojaimport und Fischfang belasten die Umwelt
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“Ein Drittel des Fischfangs landet in der Tiermast”, sagt Kühn. Um landwirtschaftliche Masttiere und Zuchtfische zu füttern, werden zunehmend die Meere leer gefischt. Soja wiederum wird zu gut 90 Prozent importiert.
“Jedes Jahr müssen über 30 Millionen Tonnen Soja und Sojaprodukte in die EU eingeführt werden, um unseren immensen Bedarf an Futterprotein zu decken”, erklärt Wilhelm Windisch. Er ist Professor für Tierernährung an der TU München und hält Insekten für die Lösung vieler Probleme in Landwirtschaft oder Umwelt.
Mast- und Zuchttiere brauchen hochwertiges Protein, um schnell zu wachsen. Das könnten Insekten auf nahezu ideale Weise liefern, schwärmt Windisch. Denn sie lassen sich mit landwirtschaftlichen Reststoffen füttern und könnten nach Bedarf vor Ort gezüchtet werden. Ein lokaler Nährstoffkreislauf komme so in Gang. “Das ist nachhaltig und eine intelligente Nutzung natürlicher Ressourcen”, findet der TU-Professor.
Bauern können Futterlarven selbst aufziehen
Rechtlich ermöglicht hat das die EU, als sie 2017 sechs Insektenarten als Tierfutter zugelassen hat. Mit dem Grünen Deal der EU hat das weiter an Bedeutung gewonnen. Nichts Verwertbares wegwerfen und das Schaffen von Kreislaufwirtschaft sind dort wichtige Elemente. An Fische, Hühner und Schweine verfütterte Insekten, die ihrerseits Grasabfälle, Fallobst oder Getreidereste vertilgen, sind ein ideales Beispiel dafür.
In dem Punkt unterscheidet sich Farminsect von Unternehmen wie Ynsect aus Frankreich oder Protix aus den Niederlanden. Beide verkaufen Insektenmehl. Farminsect liefert automatisierte Anlagen zur Insektenzucht vor Ort. Sie bestehen aus einer Klimakammer, mit Junglarven gefüllten Plastikkisten, einem Mischtopf für das Insektenfutter und viel Software. “Das Meiste läuft vollautomatisch”, sagt Kühn. Fischzüchter oder Bauern müssten nur Biomasse in den Mischtopf kippen und die Klimakammer be- sowie entladen. Acht Stunden Arbeit seien das pro Woche.
“Landwirte müssen keine Insektenzüchter werden”, verspricht Kühn. Das Schwierigste sei, aus Eiern Junglarven zu machen. Den Teil übernimmt Farminsect zentral. Einmal pro Woche würden dann Junglarven beim Abnehmer angeliefert. Den Rest übernehme die erfundene Zuchtanlage automatisch und ferngesteuert. “Wir garantieren, dass die Produktionsmenge an Futterlarven jede Woche gleich bleibt”, sagt Kühn. Pro Jahr kämen so minimal 70 Tonnen Insektenlarven zustande oder auch mehr wenn nötig.
Nutztiere fressen Insekten gern
Die Schwarze Soldatenfliege hat Farminsect gewählt, weil sie fast alles frisst, anspruchslos und robust ist. Neben ihrem Proteinreichtum führt Kühn weitere Vorteile an. Zum einen sei eine natürliche antibiotische Wirkung nachgewiesen, was damit gefütterte Tiere schützt. Zum anderen entsprechen lebend verfütterte Larven der natürlichen Nahrungsaufnahme pickender Hühner oder wühlender Schweine. Das vermindere auch Verhaltensstörungen wie Schwanzbeißen bei Schweinen oder Federrupfen bei Hühnern.
“Fische stehen besonders drauf”, bestätigt Windisch. Man müsse endlich weg von Fischmehl als Futter für Fische kommen. Auch bei Hühnern und Schweinen sieht der Professor großes Potenzial, schon weil auf einem Bauernhof jede Menge Biomasse als Larvenfutter anfällt. EU-weit seien es jährlich allein 40 Millionen Tonnen Getreidereste. Die Kreislaufwirtschaft, die Farminvest als Pionier ermögliche, sei ökologisch vorteilhaft und politisch von der EU als globalem Vorreiter in Sachen Bioökonomie gewollt.
Insektenfutter ist günstiger als Fischmehl
Als potenziellen Markt allein in Deutschland hat Farminsect je ein Viertel aller gut 4000 Hühner- und 22.000 Schweinemäster identifiziert. Dazu kommt jeder zehnte von knapp 3000 Fischzüchtern. Die Fao als Welternährungsorganisation geht davon aus, dass bis 2025 ein Zehntel allen Fischmehls durch Insekten ersetzt werden kann. Der europäische Branchenverband der Insektenproduzenten (Ipiff) schätzt bis dahin ein Marktvolumen von 1,2 Milliarden Euro. Heute sind es keine 10 Millionen Euro.
Kühn verspricht auch einen Spareffekt. Ein Fünftel weniger Fischmehl als heute koste das Insektenfutter. Da Futtermittel im Schnitt 60 Prozent der Betriebskosten eines Landwirts ausmachen, amortisiere sich die Larvenzucht binnen drei bis fünf Jahren.
“Eigentlich sollten wir ein so hochwertiges Protein selbst essen”, sinniert Windisch und propagiert Insektenprotein auch in westlichen Kulturen zur menschlichen Ernährung. Maikäfersuppe sei schließlich ein altes, wenn auch nicht mehr gebräuchliches Rezept aus Bayern, und Garnelen hätten unsere Großeltern noch nicht gegessen. Heute sei das ganz normal.
August 08, 2020 at 06:43PM
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Nutztierfutter: Insektenlarven für Fisch, Huhn und Schwein - RND
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Fisch
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